Vom Obdachlosen zum Pastor
Heilsarmee-Offizier Michael Geymeier im Interview
Vor mehr als dreißig Jahren war Michael Geymeier ein Schulabbrecher, der auf der Straße schlief und durch Betteln und Diebstähle lebte. Heute trägt er eine Uniform, predigt sonntags in der Heilsarmeegemeinde in Kassel und verteilt warmes Essen und Schlafsäcke an bedürftige Menschen. Eine lange Reise liegt hinter ihm, die ihn gelehrt hat, wie wichtig praktische Hilfe auf Augenhöhe ist.
„Ich bin hier in Kassel groß geworden, bin hier zu Schule gegangen und wurde hier konfirmiert“, erzählt Michael Geymeier von seiner Jugend. Anders, als man es vielleicht erwarten könnte, ist er behütet aufgewachsen. „Ich hatte eine gute Jugend und tolle Eltern. Es war anfangs meine Entscheidung. Ich wollte anders sein und ausbrechen.“ Durch sein Aufbegehren gegen die Norm fällt er durch das Schulsystem und er verweigert die Schulaufgaben, weshalb er auf eine Sonderschule geschickt wird. Kurze Zeit danach nimmt er an Demonstrationen teil und findet in die Hausbesetzerszene. Immer häufiger verbringt er seine Zeit auf der Straße und verlässt seine Heimat schließlich, um in die Niederlande zu gehen. „Dort war das Leben für mich leichter. Ich kam besser an Drogen ran und wurde abhängig“, erklärt er mit einem kleinen bedauernden Lächeln. Seine Rastlosigkeit und die Abschiebung der Fremdenpolizei führen ihn auch nach Belgien und Frankreich. „Mein Leben ging immer weiter bergab. Ich habe hauptsächlich auf der Straße gelebt und auch manchmal in Wohnheimen der Heilsarmee.“ Er bettelt um immer wieder einen weiteren Tag über die Runden zu kommen, doch dabei bleibt es nicht. Auf der Straße in Frankreich lernt er Menschen kennen, die schneller und einfacher an Geld kommen und auch Michael beginnt, zu stehlen. Mit Anfang zwanzig wurde er schon mehrere Male von der Polizei festgenommen und wieder frei gelassen und hat keinerlei Perspektive mehr.
„Ich wollte alles wieder gut machen“
„Schließlich bin ich wieder nach Deutschland gekommen. Einfach weil ich starkes Heimweh hatte“, erklärt Michael. Seine Geschichte scheint eine gute Wendung zu nehmen, denn zurück in Deutschland will er sich der Polizei stellen. „Ich wollte alles wieder gut machen, was ich falsch gemacht hatte. Ich wollte so nicht mehr leben.“ Doch sein Plan geht nicht auf. Bei der Polizei ist er durch verschiedene Gegebenheiten nicht einmal registriert. Es liegt nichts gegen Michael vor und so setzen die Polizisten ihn wieder auf die Straße. „Sie ließen mich einfach gehen und erst wusste ich nicht wohin“, erzählt Michael Geymeier mit einem Stirnrunzeln. Ohne die erhoffte Wiedergutmachung und die Führung durch die Polizei reist Michael durch Deutschland lebt weiter in Furcht davor, nichts mehr zu haben, um zu überleben. Immer wieder verlässt er eine Stadt, um Ärger zu entgehen und landet schließlich in Freiburg.
„Ihr Leben hat mich fasziniert“
In Freiburg hat die Heilsarmee zu der Zeit ein Haus geöffnet, um Menschen von der Straße zu holen, da kurz zuvor ein obdachloser Mann in Freiburg erfroren war. Auch für Michael Geymeier ist das neue Wohnheim der Heilsarmee eine Option: „Ich war bei der Bahnhofsmission, um einen warmen Kaffee zu trinken. Dort kam eine alte Dame auf mich zu, die mir von dem Heilsarmee Haus erzählte. Das Besondere dort war, dass alle Mitarbeitenden Christen aus verschiedenen Gemeinden waren. Das hat mich sehr interessiert, wie die leben. Einer von ihnen war ein junger Franziskanermönch. Pater Paul werde ich nie vergessen. Und ein anderer hörte gerne Heavy Metall und ich habe mich gefragt, wie das zum Christentum passt. Doch dann zeigte er mir die Texte; es waren Bibelverse.“ Durch diese Kontakte fängt Michael an, sein eigenes Leben und das, was er kannte zu hinterfragen. Die Mitarbeitenden haben ein offenes Ohr für seine Fragen. „Ihr Leben und ihre Aufopferung für Menschen wie mich und auch echt üble Menschen hat mich fasziniert“, beschreibt Michael seine Gedanken von damals. Als ihm dann ein Job im Männerheim als Hausmeister angeboten wird, nimmt er seine erste Arbeitsstelle mit Anfang dreißig an. Trotz der guten Einflüsse erlebt er auch in dieser Zeit einige Tiefs, besonders seine Drogenabhängigkeit zieht ihn immer wieder runter. Eine Kurzschlussreaktion bringt ihn dazu, alles hinzuschmeißen und wieder nach Frankreich zu fahren. Er steht schon am Bahnhof und wartet auf den nächsten Zug, doch ein Mitarbeiter der Heilsarmee sieht ihn dort und schafft es, ihn zum Bleiben zu überreden.
Ein Gottesdienst, der alles verändert
„Ich wurde zu einem Gottesdienst eingeladen. Das fand ich eigentlich nicht so gut. Trotzdem bin ich hingegangen, allerdings zusammen mit einem Freund, den ich von der Straße kannte, einer Kiste Bier und ziemlich betrunken. Eigentlich haben wir erwartet, rausgeschmissen zu werden. 80 oder 90 Menschen saßen da, schick angezogen und in Uniform.“ Doch statt vor die Tür gesetzt zu werden, lädt eine Frau die beiden betrunkenen Männer freundlich ein, sich hinzusetzen. Michael denkt an diesen Tag zurück, der sein Leben verändern sollte. „Erst verstand ich nichts, aber im Laufe des Gottesdienstes wurde mir plötzlich klar, wenn ich mein Leben jetzt nicht ändere, werde ich sterben. Dann habe ich die Kiste Bier stehen gelassen und bin nach vorne gegangen. Auf dem Weg nach vorne bin ich sogar einmal hingefallen, weil ich so betrunken war. Doch als ich vorne stand, von dem Augenblick bin ich frei geworden. Seitdem habe ich keinen Tropfen Alkohol mehr getrunken. Auch keine Drogen mehr. Nichts mehr.“ Michael Geymeier findet in diesem Augenblick Frieden und ändert sein Leben von Grund auf. Er übernimmt mehrere verantwortungsvolle Dienste im Männerheim und lernt schließlich Sabine, seine Partnerin fürs Leben und für die Arbeit bei der Heilsarmee kennen. „Eine Freundin von mir, mit der ich zusammen Soziale Arbeit studiert habe, hat bei der Heilsarmee ein Praktikum gemacht, und als ich sie dort besucht habe, habe ich Michael kennen gelernt“ erklärt Sabine Geymeier, „Ich war auf der Suche nach einer Gemeinde und habe die Heilsarmee gefunden, wo ich mich wohl gefühlt habe.“ Schnell finden die beiden zueinander und teilen seitdem ihr Leben miteinander. In Berlin fangen sie zunächst an, Vollzeit für die Heilsarmee zu arbeiten, um herauszufinden, ob das etwas für sie ist. Anderen Menschen zu helfen ist ihrer beider Leidenschaft und als Heilsarmee-Offiziere leben und erleben sie das jeden Tag.
Es war ein langer und harter Weg für Michael Geymeier, der aus seinem strukturierten Leben ausbrach und auf der Straße landete. Durch die Heilsarmee hat er gelernt, dass sich Menschen, die helfen möchten und Menschen, die Hilfe brauchen auf Augenhöhe begegnen können und genau das führt er selbst als Heilsarmee-Offizier mit seiner Frau an seiner Seite fort.