von Geistliches Leben

Margarete Knacke: „Eigentlich wollte ich nur 30 Jahre alt werden“

Interview mit einer 100-Jährigen

Sie hat auf drei Kontinenten gearbeitet und fast ein Jahrhundert Geschichte miterlebt. Zwei Weltkriege, die Teilung Deutschlands, die Wiedervereinigung und andere Ereignisse, die die Welt veränderten. Am 15. Februar 2014 ist Margarete Knacke 100 Jahre alt geworden. Seit fast 90 Jahren gehört die gebürtige Berlinerin der Heilsarmee an. Schon mit 10 Jahren besuchte sie die Kindergruppe einer Heilsarmee-Gemeinde in Berlin. In den Ruhestand ging sie als Oberstleutnantin, einem der höheren Offiziersränge. Wir sprachen mit ihr darüber, warum sie ihr Leben anderen Menschen widmete.

Oberstleutnantin Knacke, verraten Sie uns Ihr Geheimnis: Wie haben Sie es geschafft, so alt zu werden?

Ach, ich habe eigentlich nur ein solides Leben geführt und lebte nicht sehr ausschweifend. (lacht)

Erinnern Sie sich an eines Ihrer schönsten Erlebnisse?

Da gab es viele. Aber in meiner Kindheit war immer besonders schön, wenn wir zu Hause „Mensch ärgere Dich nicht“ gespielt haben. Wir waren vier Geschwister und mein Vater legte jedes Mal eine Tafel Schokolade auf den Tisch für den Sieger. Die lag dann direkt vor meinen Augen, und ich war so gierig darauf. Wenn ich nicht gewonnen hatte, hab ich wütend die Spielfiguren über den Tisch gefegt. Als ich dann als junges Mädchen in einem Wäsche-Verleih-Geschäft gearbeitet habe, kaufte ich mir von meinem ersten Lohn sofort Schokolade. Darauf war ich stolz.

Als 20-Jährige schlugen Sie die Offizierslaufbahn bei der Heilsarmee in Deutschland ein. Woher wussten Sie so genau: „Das ist mein Weg“?

Genaugenommen bin ich nur in die Fußstapfen meiner Eltern getreten. Sie waren sehr aktiv in der Heilsarmee. So verband die beiden eine gemeinsame Leidenschaft und sie waren glücklich. Meine Mutter zog mich manchmal damit auf, dass ich ihr immer am Rockzipfel hing. Ich war dort, wo sie war. Also wollte ich Heilsarmeeoffizierin werden. Meine Eltern drängten mich nicht, sondern sie haben es mir vorgelebt, sich für Menschen in Not einzusetzen. Mein Leben in diesen Dienst zu stellen, war meine Lebensberufung.

Gab es dennoch den Gedanken, einmal etwas anderes zu machen?

Eigentlich nicht. Das war mein Weg, denn ich konnte meinen Glauben ausüben. Ich glaube an Jesus Christus. Er starb für mich und hat mich erlöst und gerettet. Daher wollte ich ihm mit meinem Leben dienen und anderen von der Liebe Gottes erzählen. Für mich ist die Bibel mein Leitfaden. Noch heute lese ich täglich darin. Obwohl, heute bin ich noch nicht dazu gekommen. Außerdem war die Arbeit sehr vielfältig. Besonders gefallen hat mir, als Heilsarmee-Gruppe auf die Straße zu gehen. Dann haben wir christliche Lieder gesungen und das Evangelium gepredigt. Das wird heute leider nicht mehr so häufig gemacht. Früher sind die Menschen stehen geblieben oder haben aus dem Fenster geschaut. Manche haben auch mitgesungen. In Chile, wo ich sechs Jahre lang arbeitete, sind wir oft von Haus zu Haus gegangen und haben einfach „Hallo“ gesagt. Die Menschen haben sich gefreut und luden uns ein, hereinzukommen. Ja, und so kamen wir dann ins Gespräch – auch über den christlichen Glauben. Dann öffneten Menschen ihr Herz und erzählten, welche Not sie gerade haben und so weiter.

Haben Sie einen Lieblingsbibelvers?

Das ist Psalm 23: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grüner Aue … (Sie rezitiert fehlerfrei den gesamten Psalm.)

Hatten Sie ein Lebensmotto, ein Lebensziel?

Jesus Christus! Und dass ich für Menschen da bin und nicht für mich selbst. Ich wollte kein ICH-Mensch sein, sondern schauen, was meine Mitmenschen brauchen.

Sie waren 31 Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging. Mit Blick auf die Gräueltaten des nationalsozialistischen Regimes: Kam Ihnen jemals die Frage in den Sinn, warum Gott all das zugelassen hat?

Nein! Diese Frage stellte sich mir nicht. Ich zweifelte niemals an dem lieben Gott, sondern hatte festes Vertrauen in ihn. Davon war ich nicht abzubringen.

Viele Menschen bezweifeln, dass es einen lieben Gott gibt. Was würden Sie ihnen raten?

Ich würde vorsichtig und freundlich mit der Person sprechen und nicht Holterdiepolter sagen: „Du musst das und das tun.“ Ich würde diesen Menschen begleiten, denn es ist wichtig zu fragen, was denn der Grund ist, warum die Person nicht glauben kann. Woher kommt das? Und ich würde ein Gebet anbieten und später die Person noch einmal besuchen. Wenn jemand in großer Not ist, würde ich natürlich auch fragen, wie ich helfen kann. Denn das ist unser Auftrag als Christen und besonders der der Heilsarmee. Den Menschen persönlich zur Seite stehen, das ist wichtig.

Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie noch einmal jung wären?

Ich würde immer denselben Weg gehen.

Haben Sie noch Träume?

Oh ja. Ich würde gern noch einmal das Meer sehen. Als ich in Chile gelebt habe, war ich immer wieder neu fasziniert von dem wunderschönen Meer. Aber heute würde ich nicht mehr alleine reisen. Ich bin langsamer geworden. Ein Glück, dass ich kein Geld habe. Sonst wäre ich ständig auf Reisen.

Wenn Sie einen Wunsch frei hätten: In welcher Zeit würden Sie gern noch einmal leben?

Vielleicht in der Zeit, wo ich in andere Länder gereist bin und am Meer war. Aber was nicht ist, ist nicht. Ich bleib daheim bei meinen Kakteen, die brauchen nicht viel Wasser. 100 Jahre alt wollte ich eigentlich nie werden. Als junge Frau dachte ich, ach, 30 Jahre alt werden, das genügt. Doch im Nu war ich schon 40. Aber ich bin heute zufrieden, dass alles so wunderschön geworden ist. Mein Leben hat mir gefallen.

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Geburtstag und vielen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch führte Romy Schneider. Ursprünglich erschienen im Heilsarmee-Magazin, Ausgabe 04/2014.

Zur Person Margarete Knacke

Lebenslauf Margarete Knacke, Oberstleutnantin der Heilsarmee a.D.
1974 Eintritt in den Ruhestand
1914 geboren, in Berlin
1928 Schulabschluss
1931 Abschluss Fortbildungsschule + kaufmännische Schule
1934 Bewerbung Offizierslaufbahn
1935 Kadettenschule der Heilsarmee in Holland
ab 1936 Dienst als Offizierin (Pastorin) in verschiedenen Gemeinden der Heilsarmee in Deutschland
1941 Versetzung ans Nationale Hauptquartier, Berlin (Finanzabteilung)
1950 Versetzung nach Chile, aktiv u. a. in der Heilsarmee-Gemeinde in Playa Ancha (Predigtdienste, Jugendarbeit, Sozialarbeit)

weitere Auslandsaufenthalte: Kingston/Jamaika, Hongkong, Südkorea, Singapur
1968 Rückkehr nach Deutschland
ab 1969 Divisionsoffizierin (Regionalleiterin) in Berlin und Hamburg

Der von Margarete Knacke verfasste, handgeschriebene Lebenslauf endete mit Satz:

„Gott allein alle Ehre.“

 

Oberstleutnantin Margarete Knacke (*15. Februar 1914) ist am 2. Weihnachtstag 2014 (26.12.2014) im Alter von 100 Jahren heimgegangen.

Zurück