von Geistliches Leben

Gottes Partner

Kapitel 20 aus „Begegnung mit Jesus“

Im Jahr 1997 wurde auf dem Rand der £2-Münzen eine neue Inschrift eingeführt: „AUF DEN SCHULTERN VON RIESEN“. Dabei handelt es sich um ein Zitat von Sir Isaac Newton aus einem Brief an seinen Forscherkollegen Robert Hooke aus dem Jahr 1676, in dem er bescheiden erklärt, dass sein eigener Erfolg nur durch die Errungenschaften anderer möglich war. „Wenn ich weiter blicken konnte“, so schreibt er, „dann nur, weil ich auf den Schultern von Riesen stand.“ Er erkannte, dass sein Werk auf den Gebieten der Physik und Astronomie nicht ohne Galileis und Keplers Arbeiten möglich gewesen wäre.

Newton war allerdings nicht der Erste, der diesen Ausdruck - „auf den Schultern von Riesen“ – verwendet hatte. Im Jahr 1159 schrieb bereits Johannes von Salisbury in seinem Werk Metalogican: „­Bernard von Chartres sagte immer: ‚Wir sind wie Zwerge auf den Schultern von Riesen, sodass wir mehr sehen können als sie und auch Dinge in größerer Entfernung - nicht etwa, weil wir schärfer sähen als sie, oder durch sonstige physikalische Unterschiede, sondern weil wir von ihrer Größe emporgehoben wurden.‘“

Diese Worte waren sicher die Inspiration für die Glasfenster an der Südseite der Kathedrale von Chartres, die im folgenden Jahr­hundert entstanden sind. Unter dem Rosettenfenster befinden sich fünf langgezogene Fenster mit überlebensgroßen Darstellungen der alttestamentlichen Propheten Jesaja, Jeremia, Hesekiel und Daniel, auf deren Schultern, viel kleiner abgebildet, die vier Evangelisten des neuen Testaments sitzen: Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Die Evangelisten sahen, obwohl sie viel kleiner waren, doch viel mehr als die Propheten des Alten Testaments. Sie sahen den Messias. Die Propheten sprachen zwar von ihm, doch sie haben ihn nie selbst ­gesehen. Und doch haben sie die Welt auf seine Ankunft vorbereitet. Ohne sie hätten die Evangelisten nie sehen können, was sie sahen.

Genauso verhält es sich mit denen, die ernten. Jesus sprach: „Hier trifft das Sprichwort zu: ‘Der eine säet, der andere erntet‘. Ich habe euch auf ein Feld geschickt, das ihr nicht bestellt habt, damit ihr dort ernten sollt. Andere haben sich vor euch abgemüht, und ihr erntet die Früchte ihrer Arbeit.“ (Johannes 4,37-38). Wie bescheiden ­Jesus doch ist. Er erntete die reifen Früchte der Frau am Brunnen in ­Samarien (siehe Kapitel 4) voller Geschick und ­Einfühlungsvermögen und prahlte doch nicht mit dieser Ernte. Er wusste, dass die Saat schon lange zuvor gesät worden war und wuchs, auch dass die Früchte reif waren, als er die Frau traf. Ihm war auch bewusst, dass andere sie ­bereits vor ihm vorbereitet hatten. Ihre Mitmenschen hatten ihr schon von Jakob und den anderen Vorvätern berichtet. Jemand hatte ihr vom Messias erzählt. „Ja, ich weiß, dass einmal der Messias kommen soll, der von Gott versprochene Retter“, hatte sie gesagt. „Wenn dieser kommt, wird er uns das alles erklären.“ (Vers 25).

Immer, wenn mir die Ehre zuteil wurde, die Früchte zu ernten, wie bei allen Beispielen, die ich hier beschrieben habe, musste ich fest­stellen, dass schon lange vor meiner Begegnung mit diesen Menschen etwas in ihren Herzen im Gange gewesen war.

Manchmal war es der Heilige Geist, der auch ohne menschliches Zutun wirkt, wie bei einer Frau, die an einem Ostersonntag nach dem Frühstück mit der Familie auf einmal das Verlangen ver­spürt hatte, zur Kirche zu gehen. Sie machte sich schnell zurecht und beeilte sich. Zwar kam sie etwas zu spät in der Gottesdienst der Heilsarmee, aber doch noch rechtzeitig für die Predigt. Als sie dem Redner zuhörte, kam es ihr vor, als würde er direkt von ihr sprechen und sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Predigt für irgendjemand anderen in diesem vollen Saal geschrieben worden sein sollte. Die Predigt ging ihr die ganze Woche nicht mehr aus dem Kopf, und so kam sie am darauffolgenden Sonntag wieder. Auch diesmal fühlte sie sich wieder genauso, obwohl das Thema ein völlig anderes war. Sie war überzeugt, dass Gott persönlich zu ihr sprach, und als schließlich der Aufruf kam, sich für Gott zu entscheiden und die Erlösung in Jesus zu finden, antwortete sie, und ihr tiefes Verlangen wurde in Christus gestillt.

In anderen Fällen sind mehrere Menschen beteiligt, die über ­viele Jahre hinweg säen, tränken und den Boden fruchtbar machen. Manchmal kann dies eine unglaublich harte Arbeit sein, die an der Seele zehrt, als würde man felsigen Untergrund pflügen.

Es kann aber auch sein, dass die Bewässerung ganz einfach ist. Es braucht nur eine sanfte, besorgte Seele, die freundliche Atmosphäre, die entsteht, wann immer Christen einen Raum betreten, die aufrichtige Liebe eines Christen zu seinen Mitmenschen, das Beispiel eines Menschen, der sich aufopfert und sogar bereit ist, wie Christus zu sterben.

Für diejenigen, die ernten, besteht kein Grund zum Stolz, denn Gott hat für sie und ihre Arbeit bereits vor langer Zeit alles vorbereitet. Gott alleine gebührt der Lohn, ihm gebührt die Ehre. Der Herr wacht über die Ernte, er koordiniert, plant und verteilt die Arbeit. Einige derer, die gesät und gegossen haben, sind vielleicht schon nicht mehr am Leben, wenn ihre hart erarbeitete Ernte schließlich eingebracht wird. Gott allein weiß ihre Verdienste von einst um die Ernte von heute zu schätzen, wenngleich sie vielleicht schon viele Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen. Unter diesen unbekannten, treuen Arbeitern Gottes sind sicherlich einige Riesen, und diejenigen, die Gott schickt, um die Ernte schließlich einzutreiben, sind im Vergleich dazu zwergenhaft.

Schon lange bevor der römische Hauptmann Kornelius sich durch den Dienst von Petrus für Jesus entschied (Apostelgeschichte 10), hatte jemand anderes die Saat in sein Herzen gesät und den Boden bereitet. Es muss ein gottesfürchtiger Mensch gewesen sein, der sich von den heidnischen Praktiken der anderen Römer abgewandt hatte; ein Mann, der den Armen gab, ein Mann des Gebets. Der Gott, zu dem er betete, mag ihm vielleicht noch unbekannt gewesen sein, doch er hatte das Licht gesehen und geantwortet und lebte ein ­gottgefälliges Leben. Und als er Gott suchte, suchte Gott auch ihn und schickte ihm einen Engel. Als schließlich Petrus ausgesandt wurde, die reifen Früchte zu ernten, war er erstaunt, wie gut seine Botschaft aufgenommen wurde.

Auch Philippus muss sich gewundert haben, warum er eine blühende, reiche Gemeinde in Samarien verlassen musste und sich auf ­einmal auf der Wüstenstraße nach Gaza wiederfand (Apostelgeschichte 8,26-38). Die Reise war alles andere als kurz. Er musste zu Fuß zwischen 80 und 160 Kilometern auf dieser Wüsten­straße zurücklegen. Wie viel einfacher wäre es für ihn gewesen, einfach dort zu bleiben, wo er war und wo ihm so viele Segnungen widerfuhren. Oft streben die Christen vielmehr nach Segnungen als nach Gehorsam. Doch Philippus war wahrlich ein Mann Gottes und tat, wie ihm geheißen wurde - selbst als er unsicher und skeptisch war, wohin der Weg ihn führen würde.

Wir wissen nicht, wie viele Tage er diese trockene, staubige Straße entlangwanderte und wie viele Reisende und Kaufleute ihm dabei begegneten. Wir wissen auch nicht, wie einsam er sich wohl gefühlt haben muss, welche Fragen und Zweifel ihm durch den Kopf gingen. Sicher hat er sich gefragt, was das alles zu bedeuten habe und ob er es auch richtig verstanden hätte. Wenn wir unser Leben in Gottes Nähe verbringen wollen, führt er uns manchmal in eine bestimmte Richtung, ohne dass wir wissen, wohin die Reise geht, oder was der Grund dafür ist. Auch ich habe so etwas oft er­lebt, wie die Geschichten zeigen, die ich aufgeschrieben habe. Doch wir müssen Gott vertrauen - er weiß schon, was er tut, und er macht keine Fehler. Wenn die Zeit gekommen ist, wird er sich uns mit seinem Willen offenbaren.

Schließlich kam jener Reisende, den Gott für Philippus aus­erwählt hatte, in seinem Wagen vorbeigefahren, und der Heilige Geist ließ Philippus wissen, dass er seinetwegen hier war. ­Philippus näherte sich also dem Wagen und hörte genau zu. Darin liegt der ­Schlüssel - man muss Gott ebenso genau zuhören wie seinem Gegenüber. Als er näher kam hörte er, wie die vertrauten Worte des Propheten ­Jesaja vorgelesen wurden. Gott hätte den Zeitpunkt nicht besser wählen können. Der Eunuch las nicht nur laut aus dem Buch Jesaja vor, sondern er war auch gerade bei der Passage, die vom Leiden Jesu berichtete. Der perfekte Zeitpunkt! Wer hatte wohl die Saat im Herzen dieses Mannes ausgebracht und dafür gesorgt, dass er nun in seiner Bibel las? Wer weiß? Wer hatte dabei geholfen und für dieses erste Werk den Boden getränkt? Wir wissen es nicht. Doch er war hungrig nach mehr und seine Früchte waren reif für die Ernte.

Dieses Buch soll eine Ermutigung und zugleich ein Aufruf sein, die reifen Früchte zu ernten. Die Arbeit des Sämanns soll darüber natürlich nicht vergessen werden. Bisher habe ich nur wenige Worte über das Säen verloren und traurigerweise wird in der Kirche heutzutage kaum noch gesät. Es gibt nur wenige Kirchen, in denen die Wahrheiten des Evangeliums, der Ewigkeit, der menschlichen Sündhaftigkeit, des Himmels und der Hölle, wie sie in der Bibel beschrieben sind, und die Wahrheit von Gottes erlösender Gnade, die uns durch Jesus zuteil wird, klar und deutlich vermittelt werden.

Viele der regelmäßigen Kirchenbesucher, die ich getroffen habe, haben die Botschaft der Evangelien nie in ihrer ganzen Klarheit gehört. Es überrascht also kaum, dass die Kirchenmitglieder nur selten das Bedürfnis haben, ihre Hand nach den verlorenen Seelen auszustrecken und ihnen die Erlösungsbotschaft zu überbringen. Die wenigen Bemühungen beim Säen sind auch eher passiv.

Wir sorgen für eine nette Atmosphäre und Gemeinschaft, wir zeigen unseren Mitmenschen durch unsere Handlungen und Reaktionen, dass wir ein anderes Wertesystem als die uns umgebende Gesellschaft haben und hoffen, dass unsere guten Taten ausreichen, damit die Menschen ganz von selbst über die Gute Nach­richt stolpern und sie für sich annehmen. Sicher sollte sich ein jeder, der Christus kennt und liebt, in seinem Leben an all diesen Dingen orientieren. Das ist nichts Schlechtes. Es ist sogar notwendig. Aber ist es auch wirklich genug? Wenn wir unserer Umgebung nicht offenbaren, ­wa­rum wir so sind, wie wir sind, wie sollen unsere Mitmenschen dann die Ursache ­unseres Eifers erkennen und was uns von allen ­anderen ­unterscheidet? Wenn wir ihnen unsere Botschaft nicht direkt mitteilen, wie sollen sie sie dann erfahren?

Paulus wiederholt, was Jahrhunderte zuvor schon Joel gesagt hat: „Wer den Namen des Herrn anruft, der wird errettet werden.“ (Joel 2,32). Er fügt hinzu: „Wie aber sollen die Menschen zu Gott rufen, wenn sie nicht an ihn glauben? Wie sollen sie zum Glauben an ihn finden, wenn sie nie von ihm gehört haben? Und wie können sie von ihm hören, wenn ihnen niemand Gottes Botschaft verkündet?“ (Römer 10,14).

Und doch wird auch weiterhin gesät. Gott persönlich ist es, der die Saat ausbringt. Wo die Kirche versagt hat, hat Gott auch wei­terhin sein Werk getan und sein Licht auf die Menschheit scheinen lassen (­Johannes 1,9). Wie schon Jesus sagte, sind die Felder reif und ­bereit für die Ernte (Johannes 4,35) und „die Ernte ist groß.“ (­Matthäus 9,37). Viele Menschen spüren Gott, obwohl sie noch nie seine Botschaft gehört haben oder auch nur in der Nähe eines Gotteshauses waren.

Jesus hält uns an, die Ernte einzubringen. Er möchte, dass wir den Herrn bitten, er möge noch mehr Arbeiter aussenden, die die Ernte einbringen! (Matthäus 9,38). Wir wissen alle, was passiert, wenn die Früchte oder der Weizen nicht rechtzeitig geerntet werden. So manch einer entzieht sich seiner Verpflichtung mit der Begründung, er hätte kein Talent zum Weitergeben des Evangeliums. Als Jesus zu den Fischern von Galiläa sprach, sagte er: „Ich werde euch zu Menschen machen, die andere für Gott gewinnen.“ (Markus 1,17, kursive Hervorhebung von Autor.) Es gibt keine Belege, dass sie ein besonderes Talent zur Verkündigung hatten, und sie ver­standen auch nicht ganz, was Jesus meinte. Und doch glaubten sie an das, was er mit ihnen und durch sie tun konnte.

In seinem Gebet fordert uns Jesus auf, Gott um Arbeiter zu bitten - einfache Arbeiter, keine besonders begabten Menschen, keine ­Künstler, keine Experten. Sicher ist es großartig, wenn man das Talent zum Verkündigen hat. In einer Gemeinde sollte stets danach Ausschau gehalten werden und entsprechend begabte Mitglieder sollten von anderen Aufgaben freigestellt werden. Doch die Arbeit für Gott sollte nicht von den eigenen Talenten abhängig gemacht werden - oder von den Fähigkeiten, die andere einem zuschreiben. Das sollte nicht ­unsere Richtschnur sein. Es war schließlich auch nicht die Richtschnur der Propheten. Wenn etwa Moses, Jeremia oder ­Jesaja bloß auf ihre eigenen Talente und ihre Eignung für die Aufgabe ­geachtet hätten (was sie tatsächlich am Anfang taten), hätte Gott durch sie niemals seine großen Taten vollbringen können.

Die Aufgabe des Timotheus war es, die Kinder Gottes, die ihm anvertraut waren, zu unterrichten und zu nähren. In den zwei Briefen, die ihm Paulus schrieb, gibt er ihm viele pastorale Ratschläge, doch in seinem letzten Brief fügt er am Ende hinzu: „Erfülle deine Aufgabe als Verkündiger der rettenden Botschaft, ja, predige sie unerschrocken.“ (2. Timotheus 4,5). Wir alle haben unsere Pflichten, ganz egal, welche Talente wir besitzen, oder eben auch nicht. Es steht nirgendwo geschrieben, dass Timotheus ein besonders begabter Prediger des Evangeliums gewesen wäre.

Während alle Christen auf die Wirkung Gottes vertrauen, haben nur wenige diesen besonders starken, mächtigen Glauben, der in 1. Korinther 12,9 beschrieben wird. Wir sollten uns allerdings nicht davon abhalten lassen, für den Glauben aktiv zu sein, nur weil uns eine bestimmte Gabe fehlt, und deshalb Gottes Aufgabe den anderen überlassen, die wir für geeigneter halten.

Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass Gott oft Menschen mit einer Aufgabe betraut, für die sie nicht wirklich geeignet sind, und doch schenkt er ihnen für diese Zeit die nötige Gabe, ihre Pflicht zu erfüllen. Das Ganze erinnert fast an die Teilung des Jordans, als die ­Priester mit der Bundeslade ins Wasser steigen. Sie hätten auch einfach am Ufer warten können, bis das Wasser zurückgeht und ihnen den Weg freigibt. Dann säßen sie noch heute dort. Doch die Priester gingen voran in den Fluss und der Jordan teilte sich für sie (Josua 3,15-16).

Es gab einmal eine Heilsarmee-Offizierin, Kate Lee, die auch ­„Engelsadjutantin“ genannt wurde. Ihr Motto war: „Ich kann nicht, aber ich muss.“

Es kommt nicht darauf an, ob man eine Begabung zum Weitergeben des Evangeliums hat, sondern vielmehr auf das Mitgefühl mit den verlorenen Seelen, mit ihrer Situation und den ewig währenden Konsequenzen, die sie erleiden müssen, wenn sie die Vergebung durch ­Jesus nicht annehmen. Wir müssen die Last Christi für die ­Verlorenen auf uns nehmen. Wir brauchen die Seele Christi, den Geist Christi und das Mitgefühl Christi mit seinen Mitmenschen. Jeden, der uns begegnet, müssen wir durch die Augen Christi betrachten. Jesus schaute stets auf die anderen um ihn herum und wusste sie zu lesen, denn sein Herz war immerzu auf ihre Verfassung und ihre ­Bedürfnisse ­gerichtet. „Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen, denn sie waren erschöpft und hilflos wie Schafe, die keinen Hirten haben.“ (Matthäus 9,36, Hervorhebung in kursiv von Autor).

Wie beeinflussen uns persönlich die Massen an Menschen? ­Erfüllen sie uns mit Mitgefühl? Das griechische Wort, das hier als „Mitgefühl“ übersetzt wird, ist tatsächlich ein viel stärkerer ­Begriff, als die Übersetzung erahnen lässt. Es beinhaltet einen ­tiefen Schmerz, der der ­Liebe entspringt, einen Schmerz, der uns die Tränen in die Augen treibt, ein Mitgefühl für das, was unsere Mitmenschen durchmachen. Darin liegt der Schlüssel zur Ernte. Wenn wir Christi Geist, Christi Weitsicht und Christi Sehnen im Herzen haben, wenn wir vor Gott mit uns selbst ringen, beten und weinen, dann wird er uns zu Menschenfischern machen, wie er es uns ver­sprochen hat. Betet zum Herrn, dass er mehr Arbeiter aussenden möge, wie er es uns gesagt hat, und mögen wir entdecken, dass auch wir seine Arbeiter sind!

Das Mitgefühl, das Jesus für die Massen empfand, hatte er aber auch für den Einzelnen. Er bedachte jeden mit derselben Aufmerksamkeit wie die großen Massen. Wir müssen vor Gott mit uns ringen, beten und weinen und ihn darum bitten, die Herzen unserer Freunde, Familie und Nachbarn anzurühren. Mitgefühl war es auch, was Georg Müller dazu brachte, die Knie im Gebet für andere zu beugen.

In einer Predigt aus dem Jahr 1880 sagt er: „Im November 1844 begann ich, für die Bekehrung von fünf Menschen zu beten. Ich betete jeden Tag ohne Unterlass, ob ich nun krank oder gesund war, an Land oder auf See und auch dann, wenn ich viele Verpflichtungen hatte. Es vergingen 18 Monate, bevor sich der Erste bekehrte. Ich dankte Gott und betete für die Übrigen. Nach weiteren fünf Jahren bekehrte sich der Zweite. Ich dankte Gott für diesen Zweiten und betete für die Übrigen. Jeden Tag betete ich für sie und es dauerte noch sechs Jahre, bis sich der Dritte bekehrte. Ich dankte Gott für den Dritten und betete weiter für die anderen beiden. Diese beiden bekehrten sich nicht. Doch ich setze meine Hoffnung in Gott, bete weiter und warte auf Antwort.“

Georg Müller betete 36 Jahre für diese Zwei. Als er diese Predigt hielt, war er 75. Er starb im Jahr 1898 mit 93 Jahren. Der Vierte bekehrte sich noch vor seinem Tod und Müller verbrachte insgesamt 54 Jahre im Gebet für die Errettung dieser einen letzten Person. Nach seinem Tod fand auch der letzte dieser 5 Personen zum Glauben. Georg Müller sagte übrigens von sich selbst, dass sein Glaube nicht stärker sei als der seiner Mitmenschen. Es sei nur der ganz normale Glaube, der allen Christen gegeben sei.

Ich habe mich schon mein ganzes Leben lang mit dem Ernten beschäftigt. Ich habe keine besondere Begabung für die Verkündigung, doch mein Herz ist schwer und voller Sehnsucht. Mir fällt es heute wie damals schwer, auf die Menschen zuzugehen. Mit vielen Menschen in meinem Umfeld habe ich noch nie über den Herrn Jesus gesprochen. Wenn ich William Careys Motto lese: „Erwarte Großes von Gott, versuche Großes für Gott“, dann schäme ich mich, weil ich Letzteres nicht schaffe. Doch ich habe große Erwartungen an Gott, an seinen Willen und an seine Fähigkeit, auch die Unzureichendsten unter seinen Dienern zu seinen Werkzeugen zu machen, und trotz all meiner Unzulänglichkeiten hat er auch mich dazu bestimmt.

Einige meiner Geschichten sind ganz außergewöhnlich, doch ­niemand sollte sich davon abschrecken lassen. Es war nicht mein Verdienst. Bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass jedes Mal unser großer Gott am Werke war, während ich noch versuchte zu ­begreifen, was er von mir wollte und wie ich reagieren sollte. Genau wie bei ­einem Eisberg, der nur zu einem Viertel über das Wasser ragt, gibt es auch bei mir viele unsichtbare Fehlschläge und verpasste Gelegenheiten unter der Oberfläche.

Ich danke Gott für seine Güte und Gnade und für seine Segnungen, die nichts mit unserem eigenen Verdienst zu tun haben. Er antwortet auf unser tiefes Sehnen, nicht auf unsere Taten. Wie heißt es doch im Psalter? „Freue dich über den HERRN, und er wird dir geben, was du dir von Herzen wünschst.“ (Psalm 37,4). Wenn unsere Herzen und Seelen auf ihn gerichtet sind, auf die Ewigkeit und nicht auf die weltlichen Dinge, sondern auf die geistliche Ernte und nicht auf unseren materiellen, physischen oder emotionalen Gewinn, dann werden wir reiche Ernte einbringen, für die ihm alleine die Ehre gebührt. Wir werden eine Herrlichkeit und Freude erleben, wie kein anderes Erleb­nis sie uns diesseits des Himmels bieten kann.

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