EU-Tag gegen Menschenhandel
Gefangen im System der Prostitution
Der Menschenhandel in Deutschland trifft junge Frauen aus dem Ausland. Angela Fischer aus Berlin, Kontaktperson Anti Human Trafficking der Heilsarmee, wirft einen Blick hinter die Kulissen der Bordelle:
Der Menschenhandel in Deutschland betrifft viele junge Frauen. Aus welchen Ländern kommen sie in die Bundesrepublik?
Sehr viele Frauen kommen aus Osteuropa, vor allem aus Rumänien, Bulgarien und Ungarn. Seit dem Krieg gegen die Ukraine sind vielerorts auch deutlich mehr Frauen aus der Ukraine in Bordellen zu finden. Es sind aber auch Frauen aus Nigeria oder auch aus Südamerika oder dem südostasiatischen Raum hier in der Prostitution.
Wie werden diese Frauen nach Deutschland gelockt?
Da die Frauen sehr oft aus den ärmeren (EU)-Ländern stammen, wird zunächst mal ganz einfach mit einem guten Job in Deutschland geworben (Reinigungsgewerbe, Gastronomie, Zimmermädchen u.ä., wo Sprachkenntnisse erstmal nicht so wichtig sind). Vor allem junge Frauen aus ländlichen Gegenden sehen oft keine Perspektiven für ihr Leben dort und greifen gerne nach diesem Strohhalm. Sie lassen ihre Familien, oft auch ihre kleineren Kinder in der Heimat zurück, um ihre Familie finanziell zu unterstützen oder sich selbst ein besseres Leben aufzubauen[1].
Bei sehr vielen Frauen wird aber auch eine Liebesbeziehung vorgetäuscht (Loverboy-Methode). Sie gehen voller Vertrauen mit dem Mann, der sie vermeintlich liebt, nach Deutschland und werden dann sofort der Prostitution zugeführt. Hier kommt zu der eigentlichen Täuschung noch ein tiefer seelischer Schmerz hinzu.
Es gibt auch Frauen, die von sich aus, ganz bewusst, kommen, um als Prostituierte zu arbeiten. Sie wollen der Armut entfliehen und für eine Weile Geld verdienen. Diese arbeiten z.T. auch ohne Zuhälter, sind aber dem gnadenlosen System aus Ausbeutung und Kriminalität trotzdem ausgesetzt.
Wo arbeiten diese Frauen? Wie werden sie untergebracht?
Die Frauen werden nach Ankunft in Deutschland in ein (Wohnungs-)Bordell gebracht und man teilt ihnen mit, dass sie dort ab sofort arbeiten müssen. Die Frauen haben dann einen Zuhälter, der auf sie „aufpasst“ und der sich um die „Kunden“, also die Freier kümmert, Inserate in einschlägige Foren setzt und das Geld kassiert. Die Frauen sind ihm, und auch den Freiern, völlig hilflos ausgeliefert. Sie können nicht Deutsch, nur ein paar wenige Phrasen, wie z.B. die Preisverhandlung und weitere, die sie für ihre Tätigkeit braucht. Sie verstehen aber nicht, wenn ein Freier nach einer speziellen, oft abartigen, „Dienstleistung“ fragt. Die Frau sagt meistens JA, denn ein NEIN wird oft nicht akzeptiert, und dann muss die Frau das eben machen – etwas, das sie nie wollte!
Sehr häufig werden die Frauen nach nur kurzer Zeit in ein anderes Bordell oder sogar in eine andere Stadt gebracht. Sicher landen viele Frauen auch auf dem Straßenstrich.
Warum fällt es den Frauen so schwer, sich an die Behörden zu wenden?
Das hat mehrere Gründe. Zunächst ist da die Sprachbarriere, aber die Frauen wissen oft gar nicht, wo sie sich eigentlich aufhalten. Sie werden irgendwo in ein Bordell gebracht, und selbst wenn sie den Namen der Stadt erfahren, in der sie sind, kann sich der Aufenthaltsort morgen schon wieder ändern. Natürlich haben die Frauen auch wenig bis keine Ahnung von deutscher Geografie.
Sehr vielen Frauen wird der Pass abgenommen, häufig als Pfand für die „Reisekosten“, die die Frauen abbezahlen müssen. Diese Kosten sind natürlich viel zu hoch, um sie je abarbeiten zu können. Zumal der Zuhälter sowieso schon mindestens die Hälfte des Preises der Freier einkassiert. Eine sehr perfide Masche!
Frauen haben kein Vertrauen zur Polizei, da sie in ihren Herkunftsländern oft korrupt ist.
Die Frauen werden unterdrückt und bedroht. Ihnen wird gesagt, wenn du nicht spurst, geht es deiner Familie in der Heimat schlecht. Wir wissen, wo deine kleine Schwester wohnt…
Den Frauen wird jede Hoffnung geraubt, sie werden unter Alkohol oder Drogen gesetzt, damit sie funktionieren. Nur so können sie das Leid überhaupt ertragen.
Sie leben in einem kriminellen Milieu und lächeln trotzdem. So wollen es die Männer, und die Gesellschaft sieht auch nur „glückliche, selbstbestimmte ‚Sexarbeiterinnen‘“.
Wie engagiert sich die Heilsarmee für diese Frauen?
Die Heilsarmee verfolgt eine weltweite Strategie aus acht Punkten. Diese sieht aber in den einzelnen Ländern aus verschiedenen Gründen sehr unterschiedlich aus:
- welche Staatsform hat ein Land
- welche Gesetze sind zur Prostitution jeweils in Kraft
- ist ein Land eher arm oder reich
- ist es ein Land, aus dem Frauen in eine vermeintlich bessere Zukunft gelockt werden
- ist es ein Land, in das diese Frauen gebracht werden
- kulturelle Unterschiede
- wie sieht überhaupt das Frauenbild aus
- und so weiter….
So ist z. B. in vielen Ländern Prävention ein wichtiges Thema, während in anderen Ländern eher Frauen beim Ausstieg geholfen wird. Dazu kommt Aufklärung, Stärkung von Frauen und Mädchen in Bildung und Selbstbewusstsein, Einflussnahme in die Politik und Gesetzgebungen, Schulungen von Sozialbehörden und Polizei. Das sind nur einzelne Beispiele, die so nicht überall vorkommen, und es gibt noch viele weitere spezifische Projekte.
Ein ganz wichtiger Aspekt, den die Heilsarmee verfolgt, sind die „Survivors - Überlebende“, Menschen, meist Frauen, die aus Zwang und Gewalt herausgekommen sind. Von ihnen kann sehr viel gelernt werden über das Leben IN der Ausbeutung, über das WO gibt es einen Ausweg heraus, durch das WIE können diese Erfahrungen anderen Betroffenen helfen.
Was fordert die Heilsarmee von der Politik?
Natürlich den bestmöglichen Schutz der betroffenen Frauen! In Deutschland hat seit 2002, als per Gesetz Prostitution zum normalen Beruf erklärt wurde (ProstG), die Nachfrage in nicht geplantem und erwartetem Umfang zugenommen. Die gute Idee dahinter war, dass Prostituierte sich nun auch sozialversicherungspflichtig anmelden können und somit die gleichen Absicherungen erhalten wie alle anderen ArbeitnehmerInnen auch. Leider hat das nicht geklappt, es gibt nur rund 50 (!) sozialversicherungspflichtig angemeldete Prostituierte[2], dafür aber eine Nachfrage, die bei weitem durch freiwillige, deutsche Frauen nicht gedeckt werden kann. So schlug das Ganze ins Gegenteil um, Frauen wurden aus dem Ausland hierhergelockt, das kriminelle Geschäft blüht bis heute, und auch das 2017 verabschiedete Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG) hat keine besondere Verbesserung für die Bedingungen in der Prostitution gebracht. Daher wird vermehrt in Deutschland das Nordische bzw. Gleichstellungsmodell[3] gefordert. Es entkriminalisiert die Frauen und stellt Sexkauf unter Strafe. Außerdem soll Frauen beispielsweise beim Ausstieg geholfen werden, sie sollen, wenn nötig, Therapien erhalten, Hilfen bei der Arbeitssuche oder der Rückführung in ihr Heimatland bekommen.
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[1] https://www.bka.de/DE/AktuelleInformationen/StatistikenLagebilder/Lagebilder/Menschenhandel/menschenhandel_node.html
[2] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/142764/Weniger-Prostituierte-bei-Sozialversicherung-gemeldet
[3] https://www.ggmh.de/wp-content/uploads/2023/11/2023-Positionspapier-Gleichstellungsmodell-final.pdf
Angela Fischer
Nationaler Kontakt
Anti Human Trafficking
Tel.: +49 15904687678
Mail: angela.fischer@heilsarmee.de