von Geistliches Leben

Auf krummen Linien gerade schreiben

Nachfolgender Text ist ein Auszug aus der Ausgabe 1/2015 des Heilsarmee-Magazins.

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„Mami, ich will für immer ein Kind bleiben“, stellt mein beinahe fünfjähriger Sohn am Esstisch klar. Ich schaue ihn überrascht an. „Ach so? Und warum?" Gelassen zuckt er mit den Schultern. „Naja, weil Kinder einfach viel cooler sind.“

Wo er recht hat, hat er recht. Trotzdem bin ich ganz ohne Bedauern erwachsen. Ich finde es einfach spannend, älter zu werden. Als ich mit neunzehn Jahren mitten in der Ausbildung zur Krankenschwester steckte, sagte eine alte Dame zu mir: „Ach, Schwester. Sie sind noch so jung. Wenn ich noch einmal in Ihrem Alter wäre, würde ich in meinem Leben alles anders machen.“ Sie blieb nicht die Einzige, mit der ich ein Gespräch über dieses Thema führte. Sogar mein Lehrer in der Motorrad-Fahrschule erzählte mir frustriert von all den Dingen, die er ändern würde, wenn er noch einmal jung wäre.

Immer, wenn Menschen mir so etwas sagen, geht mir durch den Kopf: Hoffentlich werde ich niemals so denken müssen. Seit ich Heilsarmeeoffizierin bin, habe ich viele Menschen im hohen Lebensalter kennengelernt, die zum Teil dramatische Dinge erlebt haben. Oft bin ich tief davon berührt, zu hören und zu sehen, welchen Frieden sie trotz alledem empfinden. Es ist die Erfahrung, dass Gott auf krummen Linien gerade schreiben kann. Dass es bei Gott immer wieder die Chance für einen Neuanfang gibt. Dass er Vergebung schenkt, selbst wenn Wiedergutmachung nicht mehr möglich ist.

Auf genau diese grenzenlosen Möglichkeiten verlässt sich mein Fünfjähriger, genau wie alle Kinder seines Alters, den „Großen“ gegenüber. Und deshalb ist er so viel cooler als die Erwachsenen. Aber es gibt noch Hoffnung für uns, wie alt wir auch sein mögen. Und zwar, wenn wir uns daran erinnern, dass wir Gottes Kinder sind. Denn selbst noch mit 90 Jahren sind wir erst am Anfang der Ewigkeit.

  

Anni Lindner

 

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