Am Prenzelberg angekommen
Amtsübergabe im Café Treffpunkt
Für Siegfried Fischer war es damals eine schwere Entscheidung. Sollte er seine Beamtenstelle bei der Bundesknappschaft in Bochum aufgeben, um einen unsicheren Job in Ost-Berlin anzunehmen? Gut 33 Jahre später - am Freitag, den 12. Juli - wurden „Siggi“ und seine Frau Angela Fischer in einer Feierstunde verabschiedet. Die beiden haben den Entschluss, das Café Treffpunkt am Prenzlauer Berg zu übernehmen, nie bereut. Jetzt übergeben sie die Leitung an die Michael und Sabine Geymeier.
Wir schreiben das Jahr 1990. Die deutsche Wiedervereinigung hatte das Leben in Ost-Berlin grundlegend verändert: Die Mieten kletterten in die Höhe, feste Arbeitsplätze wackelten und viele Biografien waren nur noch ein Scherbenhaufen. Der damalige Sozialstadtrat des Bezirkes, Reinhard Kraetzer, sah die Nöte der Menschen und wandte sich an Rolf Metzger. Könnte die Heilsarmee nicht eine Wärmestube oder ein Begegnungscafé eröffnen?
Metzger dachte sofort an den 37-jährigen Sigi Fischer. Ob so ein Projekt nicht etwas für ihn wäre? Sigi war unsicher. Er beriet sich mit seiner Freundin „Angie“, die er kurz zuvor bei der Berliner Heilsarmee kennengelernt hatte. Die gebürtige Berlinerin arbeitete im elterlichen Aquaristik-Geschäft. Sie war sofort begeistert. „Da hatte Gott seine Hand im Spiel“, sagt Sigi heute im Rückblick und gab - schweren Herzens – seine Arbeit im Ruhrgebiet auf. Auch Angie verließ das Geschäft und beide eröffneten im Februar 1991 das Café Treffpunkt. Nur vier Tage zuvor hatten sie geheiratet.
Das Café Treffpunkt hat sich schnell zum „Wohnzimmer“ im Viertel entwickelt. In der Kuglerstraße 11 wurden und werden nicht nur unzählige Kaffee- oder Teetassen für kleines Geld über die Theke gereicht. Es gibt auch Frühstück und Mittagessen. Die Gäste können sogar duschen, ihre Wäsche waschen, sich in der Kleiderkammer eindecken und bis vor kurzem sogar eine Postadresse anmelden. Und für alle Gäste gibt es natürlich ein offenes Ohr und Seelsorge.
„Es gab viele Gäste, an die wir uns gerne erinnern”, sagt Angie. Sie denkt zum Beispiel an Horst-Peter, der bis zu seinem Lebensende der Heilsarmee treu geblieben ist. Er kam als Obdachloser ins Café. „Eines Tages stand er auf, nahm einen Besen und fegte”, erinnert sie sich. Später kümmerte sich Horst-Peter um Dinge, die für den Betrieb des Cafés unerlässlich, zum Beispiel die Hygienevorschriften. Oder Yvonne, die Frau, die Siggi plötzlich auf dem Berliner Alexanderplatz umarmte: “Papa Sigi, du hast mich von den Drogen weggeholt.”
Zu den Höhepunkten des Cafés zählten die Weihnachtsfeiern im Hotel Maritim Pro Arte. Um den rund 150 Gästen das festliche Dinner zu ermöglichen, hatten die Sigi und Angie eine geniale Idee: Sie baten Politikerinnen und Politiker, mit einer Drehorgel im Stadtteil Geld für die Feier zu sammeln.
Zu ihnen gehörte auch Petra Pau, heute Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Die Politikerin wohnte direkt in Nähe des Cafés und lernte so die Arbeit der Heilsarmee kennen. In der Feierstunde am Freitag kam sie als Gastrednerin zu Wort. Das christliche Engagement habe sie sehr beeindruckt. Das Bibelwort „Jeder trage des Anderen Last“ hat sie zum Nachdenken gebracht. Zum Abschluss überreichte sie dem Paar ihr neues Buch. Der Titel klingt programmatisch: „Gott hab sie selig.“
Weites Herz und offene Ohren
Auch die Bürgermeisterin des Bezirks, Dr. Cordelia Koch, trat vor das Mikrofon: „Mit ihrer Arbeit leistet die Heilsarmee hier im Bezirk Unverzichtbares: Sie hilft Menschen, die sich selbst oft nicht mehr helfen können: Wohnungslosen, Menschen mit psychischen Problemen, Suchtabhängigen, Menschen mit geringem Einkommen. Sie werden dafür auch vom Bezirk gefördert. Die Heilsarmee leistet etwas, was mit Geld auch gar nicht bezahlt werden kann: Sie kümmert sich um das Seelenheil der Menschen. Dafür möchte ich Ihnen sehr danken!“
Vom Berliner Abgeordnetenhaus sprach der CDU-Politiker Stephan Lenz ein Grußwort. Auch er lobte die unermüdliche Arbeit und sammelte sogar mit einem Skatturnier für das Café. Es sei nicht einfach gewesen, die Heilsarmee zu überzeugen, dass Skat kein Glücksspiel ist, schmunzelte er.
Die Feierstunde, zu der Barbara Backhaus und Marie-Luise Schröder eingeladen hatten, begann mit einem aufschlussreichen Gespräch zwischen dem damaligen Sozialstadtrat des Bezirkes, Reinhard Kraetzer, und Rolf Metzger. Warum er sich denn die Heilsarmee ausgesucht habe, wollte Metzger wissen. „Die niederschwellige Art des Helfens, das weite Herz und die offenen Ohren haben mir gefallen“, sagte er. Aber auch die Disziplin der Heilsarmee wisse er zu schätzen. Die Heilsarmee sei im Stadtteil eine Institution. „Sigi“, so Kraetzer, „kenne mittlerweile alle Leute am Prenzelberg.“
Am Donnerstag, einen Tag vor der Feierstunde, ist das Café in der Kuglerstraße wie gewohnt geöffnet. Michael Geymeier, gelernter Koch und ehemaliger Gastronom, teilt um 13 Uhr eine leckere Gemüsesuppe aus. Seit gut zwei Wochen haben er und seine Frau Sabine das Café Treffpunkt übernommen. Auf den Tischen stehen Rosen, darüber hängen neue, helle Lampen. 23 Sitzplätze gibt es im Gastraum. Michael und Sabine haben sich nach der Essensausgabe zu den Gästen gesetzt. Es wird geplaudert und gelacht, eben Wohnzimmeratmosphäre. An einem Tisch wird „Mensch ärgere dich“ gespielt.
Obdachlose auf Decken und Kartons
Der Blick aus den hohen Fenstern des Altbaus wirkt friedlich. Die Sonne scheint, draußen säumen Hainbuchen den Straßenrand. Etwas weiter oben an der Ecke ist ein veganes Café, gegenüber eine Keramikwerkstatt. Viel hat sich in den letzten drei Jahrzehnten verändert. Studenten, Familien und Künstler sind in den Kiez gekommen, die sanierten Häuser erstrahlen in altem Glanz. Aber nicht für alle Menschen hat sich die Lage verbessert. Wer genauer hinschaut, sieht viele alte einsame Menschen. Im Helmholzpark stehen provisorische Zelte, unter der U-Bahntrasse an der Schönhauser Allee liegen Obdachlosen auf Decken und Kartons. „Wir müssen stärker nach draußen gehen und auf uns aufmerksam machen”, erklärt Michael Geymeier. Der 59jährige, offen und zugewandt, weiß, wie man auf Menschen zugeht. Mit seiner Frau, eine erfahrene und stets gut gelaunte Sozialarbeiterin, war er 21 Jahre in den Bielefelder Brennpunkten unterwegs: Suppe, Lebensmittel, Kleiderkammer, viel Zuhören und Beraten. Der große Erfolg in der Stadt brachte viel Respekt bei den Bürgern. “Uns ist es tatsächlich gelungen, viele Spender zu überzeugen. Das hat die Arbeit vorangebracht.”
Dieser wertvolle Erfahrungsschatz wird den beiden in Berlin weiterhelfen. Über viele Jahre hat die Stadt das Café tatkräftig unterstützt. Jetzt wird das Geld knapper. Das ist für die beiden aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken: Gott wird auch hier seine Hände im Spiel haben.