130 Jahre Heilsarmee in Frankfurt
„Wir könnten auch nur Pastoren sein, aber dann würde uns ein wichtiger Teil fehlen.“
Schon seit 130 Jahren steht die Heilsarmee in Frankfurt/Main Menschen in besonderen Notlagen zur Seite. Unter anderem hat sie ihnen während der beiden Weltkriege, der schwierigen Nachkriegszeit und der Corona-Pandemie Unterstützung und einen Ort geboten, an dem sie friedlich zusammenkommen können. Heute unterhält die Heilsarmee in Frankfurt eine Gemeinde, auch Korps genannt, und ein Wohnheim für Männer.
Die Bürotür von Stefan und Monica Müller steht immer offen. Die beiden Majore der Heilsarmee leiten das Korps und das Männerwohnheim in Frankfurt. „Für unsere Bewohner mit ihren Fragen und Sorgen wollen wir immer ansprechbar sein,“ sagt Monica Müller. Gerade sieht sie sich die Lagerbestände für das Café an, das zur Einrichtung gehört. Jeden Mittwoch werden hier warme Mahlzeiten für etwa 80 Besucher gekocht; die Lagerung und Zubereitung der Vorräte muss also gut organisiert sein. „Uns werden zum Beispiel sehr häufig Nudeln gespendet, die sich lange halten“, schildert die Majorin. „Die kombinieren wir dann abwechslungsreich mit Lebensmitteln, die sich nicht so lange halten. Mit einer guten Übersicht schaffen wir es, leckere Gerichte zu kochen und keine Lebensmittel wegzuschmeißen.“ Monica und Stefan Müller füllen bei ihrer Arbeit viele Rollen gleichzeitig aus: Sie sind nicht nur die Pastoren der Gemeinde, sondern auch Verwalter, Vermieter, Köche, Servicekräfte und vieles mehr. Das ist ganz schön viel Arbeit für zwei Personen. Aber zum einen können sie auf die Hilfe von ehrenamtlich Mitarbeitenden zählen und zum anderen sind sie überzeugt: „Wir könnten auch nur Pastoren sein, aber dann würde uns ein wichtiger Teil fehlen.“
Tätige Nächstenliebe für Männer in Not
Dieser wichtige Teil ist die Sozialarbeit der Heilsarmee in Frankfurt. Im Wohnheim in der Windeckstraße werden Sozialwohnungen für Männer angeboten. 32 Männer wohnen dort. Viele von ihnen suchen eine Arbeit oder arbeiten über eine Zeitarbeitsfirma. So wie Alexander Pozzo, der seit fünf Monaten in der Windeckstraße lebt. Er möchte gerne wieder bei der Security am Flughafen arbeiten. Dort war er schon einmal tätig, aber wenn die Fluggesellschaften weniger Mitarbeitende benötigen, werden Männer wie Alexander Pozzo zuerst entlassen. „Ich möchte gerne eine feste Arbeit haben, damit auch meine Frau und mein Kind zu mir nach Deutschland kommen können“, erklärt der gebürtige Ghanaer mit deutscher Staatsangehörigkeit. Die meisten Männer im Wohnheim haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Der ständige Wechsel von unterschiedlichen Arbeitgebern und Arbeitslosigkeit macht ein normales Mietverhältnis unmöglich. Im Männerwohnheim der Heilsarmee in Frankfurt unterstützen Stefan und Monica Müller den Schriftverkehr mit dem Arbeitsamt und anderen Behörden und bestehen nicht auf eine pünktlich eintreffende Miete. Das nimmt viel Druck von den Schultern der Männer.
Die Heilsarmee im Schifferbunker
Am 26.01.1893 eröffnete Kapitänin Regina Keller das erste Korps in Frankfurt am Main, und es sollte nicht das letzte sein. 1897 wurde ein zweites Korp von Kapitänin Jessie Raven eröffnet. Bekannt sind aus dieser Zeit hauptsächlich die Gemeindearbeit und die Gottesdienste. Der erste große Bericht zur Heilsarmee in Frankfurt entstand kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Die Heilsarmee in Frankfurt unter der Leitung von Wilhelm Oesterlen sah sich einer besonderen Herausforderung gegenüber. Viele Häuser und Sozialheime waren damals zerstört und Frankfurt wurde wegen seiner geografischen Lage zu einem Brennpunkt sozialer Nöte. Viele obdachlose und bedürftige Menschen kamen in einem Hochbunker in der Schifferstraße unter, der Schifferbunker genannt wurde. Die Stadtverwaltung bat die Heilsarmee, diesen Bunker voll mit in Not geratenen und verzweifelten Menschen zu leiten. Der Sohn des leitenden Heilsarmee-Offiziers schrieb später über die erste Zeit im Schifferbunker:
„Gegen Ende 1948 erhielt unser Vater den Marschbefehl nach Frankfurt zur Leitung des Bunkers. Der Bunker verfügte über 110 kleine Kabinen von je sechs Quadratmetern Größe. In ihnen waren weit über 200 Obdachlose und Flüchtlinge untergebracht; darunter 68 Frauen und 72 Kinder. Es herrschten unbeschreibliche Zustände. Manche Familien mit sechs oder acht Personen bewohnten lediglich zwei Kabinen. Der Bunker war fensterlos. Oftmals herrschte Dunkelheit. Die Luft zum Atmen kam über ein verzweigtes Schachtsystem von zwei großen Ventilatoren. Auf kleinen elektrischen Kochplatten, die wegen Platzmangel auf die Flure gestellt wurden, kochten die Bewohner ihr Essen und auch ihre Wäsche. Niemand fühlte sich verantwortlich für die Sauberhaltung der sanitären Anlagen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit herrschte Lärm. Die Stimmung unter den Bewohnern war gereizt, so dass es oft zu Schlägereien kam. So waren die Verhältnisse im Schifferbunker bei der Übernahme durch die Heilsarmee.
Zunächst galt es, eine straffe Hausordnung einzuführen, um Ruhe, Übersicht und Ordnung zu schaffen. Wir hatten anfangs große Mühe, uns durchzusetzen. Da wenig Geld vorhanden war, konnten keine Hilfskräfte eingestellt werden. Reinigungs- und Aufräumungsarbeiten mussten von der Heimleiterfamilie bewältigt werden. Systematisch wurden alle grauen Betonwände mit einem freundlichen Farbanstrich versehen. Endlich verfügten wir auch über genügend Glühbirnen, so dass es im Bunker hell wurde.
Ein weiterer Notausgang wurde zu einer Gemeinschaftsküche ausgebaut, die von vielen Familien in Anspruch genommen wurde. Eine weitere Verbesserung brachte die Einrichtung eines Speiseraums, der in einem Flur untergebracht war. Hier wurden auch an jedem Sonntag Gottesdienste gehalten. Zur anschließenden Kinderversammlung fanden sich die Kinder im Bunker fast vollzählig ein. Allmählich kehrte ein anderer Geist in den Bunker ein. Die Bewohner wuchsen zu einer großen Familie zusammen.“
Weiterentwicklung Auch in schwierigen Zeiten
Nach dieser intensiven Zeit im Schifferbunker war die Betreuung von Menschen in Wohnungsnot nicht mehr aus der Heilsarmee in Frankfurt wegzudenken. Das Haus in der Windeckstraße erweiterte nach und nach sein Angebot als Männerwohnheim. Als Monica und Stefan Müller 2015 die Leitung übernahmen, wussten sie sofort, dass das Männerwohnheim einen Raum für Gemeinschaft und Gespräche brauchte. So entstand 2017 der Treffpunkt Windeck, das Herz der Einrichtung.
Doch drei Jahre später sahen sich die Leiter der Heilsarmee in Frankfurt einer Krise gegenüber. Zu Beginn der Coronapandemie mussten viele Hilfsangebote in Frankfurt schließen. Die Heilsarmee-Offiziere wurden kreativ und machten ein Hilfsangebot im Hof des Heilsarmeegebäudes möglich, den „Treffpunkt Windeck to go“. Corona-konform boten sie Lebensmittel, eine warme Dusche und Kleidung an. „Wir wollten in dieser schwierigen Zeit unbedingt für die Menschen da sein und trotz allem offene Türen für jeden haben“, erklärt Monica Müller. Durch dieses wichtige - und für einige Zeit auch einzige - Angebot für bedürftige Menschen kamen immer mehr Besucher in die Windeckstraße; schließlich rund 80 pro Termin.
„Wir möchten niemanden wegschicken."
Mittlerweile sind die Corona-Beschränkungen beendet und das Café lädt wieder zum Verweilen ein. Um den Menschen einen Ort der Wärme zu bieten, ist der „Treffpunkt Windeck“ jeden Mittwoch von 10 Uhr bis 22 Uhr geöffnet. Jeder ist willkommen, nach bestimmten Ausweisen oder Marken schauen die Heilsarmee-Offiziere nicht. „Wir möchten niemanden wegschicken. Wer zu uns kommt, braucht auch wirklich etwas. Ob es jetzt eine Mahlzeit, eine warme Stube oder die Gesellschaft der anderen ist“, erklärt Monica Müller.
Für die Mahlzeiten und die Kleidung, die es im Treffpunkt Windeck gibt, müssen die Besucher des Cafés nichts bezahlen. „Das ist zum einen möglich, weil wir gute Kontakte zur Tafel haben, die uns mit Lebensmitteln versorgt“, sagt Stefan Müller. „Außerdem lassen uns Spender Geld und Kleidung zukommen. Damit können wir unsere Angebote aufrechterhalten und die Nöte der Menschen lindern.“ Das geschieht nicht nur im Treffpunkt Windeck; die Müllers und ihr Team gehen auch anderswo in Frankfurt auf Menschen zu. So ist das Lastenfahrrad der Heilsarmee seit einiger Zeit ein bekannter Anblick in den Parks im Frankfurter Ostend. Damit bringt Olaf Backhaus, Heilsarmee-Mitglied und Fachkrankenpfleger, einmal wöchentlich warme und kalte Getränke, belegte Brötchen und Informationsbroschüren zu Hilfsangeboten zu bedürftigen und wohnungslosen Menschen.
Auch, wenn sich in den letzten 130 Jahren viel verändert hat: Die Not der Menschen in Frankfurt zu lindern, war, ist und bleibt die Devise der Heilsarmee vor Ort.